Der Bewerbungsprozess in der Kreativbranche (ist manchmal echt das Letzte)

Willkommen beim Karneval der Wirklichkeit

Seit über 10 Jahren tingle ich schreibend durch dieses „irgendwas mit Medien“ und muss sagen: Trotz allem, was in der Kreativbranche so falsch läuft, fühlt sich das noch immer sehr gut an. Denn meine Idealvorstellung von Arbeit war schon früh die, dass ich Wörter in meinen Laptop tippe und Geld dafür bekomme. Und joa, das habe ich ganz gut hingekriegt.

Für wen ich diese Wörter so getippt habe, war sehr unterschiedlich. Denn zumindest beruflich habe ich keine Angst davor, etwas Neues anzugehen, wenn ich Lust auf Veränderung habe. Seit ein paar Wochen darf ich mir eine weitere Station in meinen Lebenslauf schreiben – yay. Nach einigen Jahren als Texterin/Konzepterin bin ich jetzt wieder Online-Redakteurin. Und weil das Bewerbungsverfahren diesmal wieder sehr respektvoll und angenehm verlaufen ist, sind mir auch die vielen Situationen eingefallen, in denen ich das nicht behaupten konnte. Denn da draußen passiert wirklich viel unangenehmes Zeug. Fahler Nachgeschmack? Aber hallo! Ich hab mir ein Pfefferminzzuckerl eingeworfen und einen Auszug davon aufgeschrieben.


(Gleich vorweg: Es handelt sich bei keiner meiner Erzählungen um Unternehmen, für die ich gearbeitet habe.)

Sieben Dinge, die ich über den Bewerbungsprozess in der Kreativbranche gelernt habe


Es herrscht Chaos.

Kreativ bedeutet chaotisch? Ähh ja das Klischee existiert jedenfalls nicht grundlos. Also generell kann ich ja mit Chaoten ganz gut (eventuell teile ich sogar mein Leben mit einem) und ich habe eeeeventuell auch selbst ein paar chaotische Züge, ABER wenn es die Jobsuche betrifft, ist das schon echt mühsam. Und uncool.

Einmal war ich schon in der dritten und letzten Bewerbungsrunde – nach einem Vorstellungsgespräch und einem Kreativtest, an dem ich bestimmt drei Stunden arbeitete. Die letzte Runde sollte sich verzögern und erst drei Wochen später stattfinden. Etwas ärgerlich, aber okay. Drei Wochen später, direkt am Abend vor dem Termin, kam um 20 Uhr eine Mail. Inhalt: Alles abgeblasen, ich soll am nächsten Tag doch nicht ins Büro kommen. Sie besetzen die Stelle nun doch gar nicht mehr, sie haben zu wenig Arbeit für eine zusätzliche Person. Pfff wie bitte? Darauf kommt ihr am Abend vorm letzten Termin? Gebt mir meine Zeit zurück!

Und da gab es noch dieses eine Unternehmen, von dem ich nach dem Vorstellungsgespräch eine Absage erhielt. Zwei Wochen später kam eine Mail, in der man mich fragte, wann ich denn Zeit hätte für mein Vorstellungsgespräch. Hö? Könnt ihr euch bitte merken oder zumindest irgendwo vermerken, mit wem ihr schon gesprochen habt? Das fühlt sich echt respektlos an. Was antwortet man da auch? Äh ich war schon bei euch und ihr wolltet mich nicht? Tz.

So ähnlich, aber doch anders: Von einer Agentur kam nach dem Vorstellungsgespräch und der zweiten Runde eine Absage. Der Grund: Man habe sich für jemand anderen entschieden, die Person war noch besser qualifiziert für die Stelle. Zwei Wochen später wurde ich von genau dieser Agentur auf LinkedIn angeschrieben – sie hätten da eine spannende Position für mich, ob ich nicht mal für ein Gespräch vorbeikommen möchte. Es war natürlich genau die Position, für die ich mich beworben hatte und die ja angeblich schon besetzt wurde. Ugh.

Bewerbungsprozesse in der Kreativbranche lassen mich ziemlich stark mit dem Kopf schütteln.


Manche Agenturen möchten besonders besonders rüberkommen. Und sind dabei nur peinlich.

Sie selbst finden sich bestimmt total fortschrittlich und revolutionär, weil sie kurz zwei Bücher über Unternehmensführung in die Hand nahmen und die paar Kapitel, die dem CD besonders gut gefallen haben, übereifrig umsetzen. Weißt du, bei uns läuft alles total auf Augenhöhe, Hierarchien gibt’s hier nicht. Wir haben einen Wuzzler für die Kreativpausen und jeden Tag kochen zwei Mitarbeiter*innen fürs ganze Team. Achja und Feedback-Kultur ist uns einfach TOTAL WICHTIG.

So weit, so basic. Wenn man während des Gesprächs jedoch ca. zehn Mal die Frage „Und, wie fühlst du dich dabei?“ hört, wundert man sich nach einiger Zeit, ob man hier wirklich beim potentiellen zukünftigen Arbeitgeber oder doch beim Psychotherapeuten sitzt. Wollt ihr nach der Stunde eh keine 130 Euro von mir? Haha du bist witzig. Das heißt, du fühlst dich wohl bei uns, oder? Wie geht es dir gerade in unserem Gespräch? Ich sage dir jetzt gleich, wie ich unsere Unterhaltung fand und dann erzählst du, wie du darüber denkst – ist das in Ordnung für dich? Und wie geht es dir jetzt mit diesem Feedback? Welche Erkenntnisse ziehst du aus unserem Gespräch heute? Und wie wird meine Rückmeldung dein zukünftiges Tun beeinflussen? Wird sich irgendetwas für dich ändern? Und wie fühlst du dich jetzt am Ende unserer Unterhaltung?

Äääähhh… DU NERVST, SO FÜHL ICH MICH DABEI!


Hab ich das mit dem Chaos schon erwähnt?

Einmal brachte ich in einer Agentur ein langes, detailreiches Bewerbungsgespräch hinter mich, die zweite Runde stand eine Woche später an. Ich nahm mir extra einen Urlaubstag für eine Art Assessment-Center, bei dem ich über zwei Stunden lang direkt vor Ort in der Agentur Aufgaben ausarbeiten und anschließend präsentieren musste. Nachdem ich das alles gut gemeistert hatte, wurde mir sogar schon zugeflüstert, dass ich den Job habe. Es fehlte nur mehr ein kurzes Gespräch mit dem Geschäftsführer, ein kurzes Kennenlernen, aber da kann im Prinzip nichts mehr schief gehen. Ha denkste.

Nun ja, bei dem Gespräch wurde auf einmal klar, dass eine ganz andere Stelle besetzt werden soll, als jene, die ausgeschrieben war. Sie suchten nicht jemanden für Text/Konzept/Social Media, sondern einen Kontakter. Die Begründung des Mitarbeiters, mit dem ich das komplette Bewerbungsverfahren gemacht und der auch die Stelle ausgeschrieben hatte, war: „Na ja wir haben nicht Account Management ausgeschrieben, weil die meisten gar nicht wissen, was das ist. Jetzt haben wir halt Social Media und so geschrieben.“ WIE BITTE? ALLE IN DER BRANCHE WISSEN, WAS EIN ACCOUNT MANAGER IST! Ich habe hier für absolut nichts so unendlich viel Zeit verschissen, ich krieg heute noch rote Ohren, wenn ich diese Geschichte erzähle.


Unter drei Runden geht nix und deine Arbeitsproben reichen nie aus.

Vielleicht ändert sich das nach 5371 Jahren Berufserfahrung – in den ersten zehn Jahren heißt es: Wir wollen mehr! Du kannst so viel mitschicken wie du willst – 45 Seiten Arbeitsproben und 15 bereits bestandene Kreativtests sind jedem Unternehmen wurscht, zuerst musst du FÜR UNS ABLIEFERN HIER. Das Zeug in der Bewerbung hätte ja jeder machen können höhö. Nach dem Bewerbungsgespräch schreibst du uns den besten Text deines Lebens, danach stellst du uns Content-Ideen fürs komplette nächste Jahr vor und verpflichtest dich, das Social Media Management unseres schwierigsten Kunden drei Jahre gratis nebenbei in deiner Freizeit zu machen. Dann kommt die Solo-Weltumschiffung mit einem Segelboot ohne Segel, die Erlegung eines Babyeinhorns und DANN hast du dich eventuell vielleicht für den Job qualifiziert. Mal schauen.


Es wird unverschämt.

Einer meiner „Lieblingsmomente“ in einem Bewerbungsprozess war, als ein Chef einer „jungen, hippen“ Agentur während des Vorstellungsgesprächs den mitgeschickten Kreativtest sah und ganz begeistert war. Also nicht von meinem Können und meinen ausgearbeiteten Aufgaben, sondern von der Idee des Kreativtests selbst. Seine Agentur machte das nämlich noch nicht. Tja. Er fand das aber so toll, dass er das sofort kopieren wollte. Und zwar e x a k t kopieren. Nur für seine Kunden – eh klar. Er wollte also, dass ich die EXAKT GLEICHEN AUFGABENSTELLUNGEN, die da schon ausgearbeitet vor ihm lagen, noch einmal ausarbeite – aber für seine Kunden. Schließlich kann man da ja so schön gratis Ideen abstauben.

Per Mail bekam ich dann die glorreiche Info, dass er sich doch noch etwas Eigenes überlegt hatte: Wir drei, die in der letzten Runde waren, sollten unsere ausgearbeiteten Ideen dann nicht einfach per Mail schicken, naaheiiin, sondern in einer Battle-Situation präsentieren – vor den anderen Bewerber*innen. Und uns anschließend gegenseitig zerstören oder wie. SICHER NICHT DU LAUCH! (Sorry für die vielen Versalien in dem Beitrag, aber ich kann nicht anders.)


Lauf, wenn sie diese „klassischen Bewerbungsfragen“ stellen.

Wenn die Website aussieht wie aus den frühen 2000ern und dir beim Vorstellungsgespräch nur ältere Männer gegenüber sitzen, bekommst du sehr wahrscheinlich eine dieser Stressfragen gestellt, die sich die Herren mit einem „Höhö ja das ist eine gute Idee! Da kommt sie ins Grübeln! Mal schauen wie sie unter Druck performt!“ von irgendeiner Karriere-Website gezogen haben.

Also echt: Nur die antiquiertesten Unternehmen mit den antiquiertesten Mitarbeiter*innen da draußen fragen noch Fragen wie „Wie viele Smarties passen in einen VW Golf?“, „Wie schwer ist New York?“ oder „Was sagen wohl andere Menschen hinter Ihrem Rücken über Sie?“.

Denn mittlerweile durfte ich zum Glück oft genug erfahren, dass sich coole, ernstzunehmende Unternehmen schon längst von diesem Bullshit verabschiedet haben und ganz normal auf Augenhöhe mit dir quatschen – ohne Fangfragen, Stressfragen & Co.


Es gibt Gründe, warum ein Unternehmen immer wieder dieselbe Stelle ausschreibt.

Wenn du mitbekommst, dass ein Unternehmen immer und immer und immer wieder dieselbe Stelle ausschreibt: Es gibt gute Gründe dafür, warum der Job immer wieder frei wird. Auch wenn die Ausschreibung extrem vielversprechend klingt, lass die Finger davon. Trust me.

Ein Kommentar

  1. Ich bin sehr stolz auf dich! Wie schön dass du deine Begabungen nützen und deinen Wunschberuf mit Freude ausüben kannst!!!!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert